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Menschen zu überzeugen, Geld für etwas zu bezahlen, ist immer schwierig. Regelmäßig neue zahlende Mitglieder zu gewinnen, ist für ein Membershipmodell aber unerlässlich. Wenn natürliches Wachstum nicht ausreicht, muss eine Mitgliederkampagne her.

„Die Corona-Pandemie hat uns mehr neue Mitglieder beschert, als es jede Mitgliederkampagne geschafft hätte”, sagt Seraina Manser, Memberverantwortliche von Tsüri.ch aus Zürich. Viele mitgliederfinanzierte Redaktionen sind während der Pandemie gewachsen. Trotzdem wollte Tsüri.ch noch mehr. Um das Team vergrößern zu können planten Seraina und ihre Kolleginnen und Kollegen eine Mitgliederkampagne mit besonderem Dreh. In unserer beabee lunchbreak Mitte Juli hat uns Seraina Schritt für Schritt erklärt, wie das abgelaufen ist.

Zuerst aber ein Überblick über Tsüri.ch:

  • Tsüri.ch gibt es seit Anfang 2015 und wurde als Experiment von Studierenden gegründet, eigentlich befristet auf zwei Jahre. Das Projekt lief aber so erfolgreich, dass es weitergeführt wurde.
    Tsüri.ch berichtet über lokale Themen aus Zürich für eine junge, linke Zielgruppe zwischen 20 und 40 Jahren, die in Zürich oder im Kanton lebt.
  • Viermal im Jahr veranstaltet Tsüri.ch Fokusmonate zu einem bestimmten Thema, zuletzt zum Beispiel gesellschaftliches Engagement und Aktivismus. Während des Fokusmonats erscheinen viele Artikel auf Tsüri.ch zum Thema, außerdem gibt es Veranstaltungen wie Podiumsdiskussionen, Stammtische oder Workshops.
  • Aktuell hat Tsüri.ch rund 1.400 Mitglieder, die im Jahr durchschnittlich jeweils 90 € zahlen.
    Tsüri.ch finanziert sich nicht alleine durch die Mitgliedsbeiträge. Den größten Teil der Einnahmen machen Sponsorings für die Fokusmonate aus. Das dritte große Standbein ist klassische Werbung wie Promos, Verlosungen oder Bannerwerbung. Über den Shop mit eigenem Merchandise nimmt Tsüri.ch zusätzlich rund 3.500 € im Monat ein.
  • Das Tsüri-Team besteht aus zehn Mitarbeiterinnen. Das Besondere: Egal ob Chefredakteur, Mitgliederverantwortliche oder Programmier – alle verdienen gleich viel.

Worum es bei Mitgliederkampagnen geht

  • Mitgliederkampagnen dienen dazu, neue Mitglieder zu gewinnen und können auf verschiedene Arten angelegt werden. Viele mitgliederfinanzierte Organisationen überlegen sich mindestens einmal im Jahr etwas. Auch Tsüri.ch macht regelmäßig kleinere oder größere Mitgliederkampagnen
  • Die aktuelle Klimamember-Kampagne von Tsüri.ch war in Teilen an die Botschafterkampagne von Zetland aus Dänemark angelehnt.
  • 2019 hat Zetland seine Mitglieder dazu aufgerufen, neue Mitglieder anzuwerben. Innerhalb eines Monat konnte Zetland seine Mitgliedszahlen um 25 Prozent steigern. Wie genau die Kampagne bei Zetland funktioniert hat, kannst du beim Membership Puzzle Project nachlesen.
  • Zetland knüpfte die Memberkampagne an die Warnung, dass das Unternehmen ohne neue Mitglieder vor dem Aus steht. Tsüri.ch hat es anders gemacht und knüpfte die Memberkampagne an die Vision, wachsen zu wollen. Wie genau die Kampagne von Tsüri.ch funktioniert hat, erfährst du im nächsten Kapitel dieses Newsletters.

Die Klimamember-Kampagne von Tsüri.ch

  • Die Klimamember-Kampagne von Tsüri.ch startete mit einer Vor- bzw. Sensibilisierungs-Kampagne: In einer Artikelserie klärte die Redaktion über die finanzielle Situation von Tsüri.ch auf und erklärte auch, warum Lokaljournalismus essentiell ist und wie schwer es bisher für Tsüri.ch war, neue Mitglieder zu gewinnen.
  • Erst im zweiten Schritt ging es dann an die eigentliche Mitgliederkampagne. Das Ziel war klar: 1.000 neue Mitglieder, um eine neue Vollzeitstelle in der Redaktion finanzieren zu können.
  • Für welches Thema die neue Redakteurin zuständig sein sollte, ließ Tsüri.ch die Mitglieder in einer Umfrage entscheiden. Zur Auswahl standen Klimakrise, Ungleichheit der Geschlechter, Recht auf Stadt (Wohnpolitik) und lokale Politik. Die meisten Mitglieder stimmten für das Thema Klimakrise ab.
  • Im nächsten Schritt suchte Tsüri.ch dann Botschafterinnen, die neue Mitglieder werben sollten. Auch das mithilfe einer Umfrage. Die erste Frage der Umfrage, nämlich ob der- oder diejenige schon Mitglied ist, brachte bereits die ersten neuen Mitglieder. Am Ende registrierten sich insgesamt 60 Botschafterinnen und Botschafter. Sie gaben an, voraussichtlich jeweils fünf neue Klimamember werben zu können.
  • Die Botschafterinnen bekamen Werbematerial und einen personalisierten Link, mit dem sie neue Mitglieder werben konnten. Dadurch konnte Tsüri.ch direkt nachvollziehen, wer wie viele neue Mitglieder geworben hat. Allerdings haben nicht alle Botschafter den Link immer benutzt, um neue Mitglieder zu werben.
  • Im Vorfeld traf sich das Kampagnenteam auch mit Organisationen, die sich schon länger mit der Klimakrise beschäftigen, zum Beispiel Fridays for Future oder der Critical Mass aus Zürich. Die Organisationen machten wiederum in ihrer Community auf die Kampagne aufmerksam.
  • Der Kick-Off der Kampagne fand am 7. Juni in der Tsüri-Redaktion statt: Bei Kaffee und Croissants konnten sich die ersten neuen Klimamember direkt vor Ort registrieren. Hier siehst du, wie Tsüri zum Kick-Off eingeladen hat.
  • Angelegt war die Kampagne auf einen Monat. Zwischendurch trommelte die Redaktion immer wieder für neue Mitglieder und motivierte auch die Botschafterinnen und Botschafter, die vom Team sehr eng begleitet wurden und immer wieder Updates zum Stand der Kampagne bekamen.
  • Bis zum Ende der Kampagne am 7. Juli haben sich außerdem drei unterschiedliche Persönlichkeiten mit einem «Brief» an die Tsüri-Community gewendet: Anja Gada vom Klimastreik, Stadtpräsidentin Corine Mauch und Stadtforscherin Sabeth Tödli. Zudem veröffentlichte Tsüri.ch weitere Inhalte zur Klimakrise und in einem Video erklärten Redaktionsleiterin Rahel Bains und Chefredaktor Simon Jacoby, was es mit der Klima-Redaktionsstelle auf sich hat.
  • Durch die Memberkampagne wurde auch eine Klimaschutz-Stiftung auf Tsüri.ch aufmerksam und sagte rund 30.000 Euro Fördergeld für die neue Redaktionsstelle zu.

Das Ergebnis

Zufriedenheitsgrad: mittel – Sareina von Tsüri.ch ist mit dem Ergebnis der Mitgliederkampagne generell zufrieden, hatte sich aber ein paar mehr neue Mitglieder erhofft.

  • Die 60 Botschafterinnen und Botschafter warben insgesamt rund 250 neue Mitglieder, also weit weniger, als die erhofften 1.000. Dass das Ziel sehr ambitioniert war, war aber auch schon vorher klar.
  • Die Spende der Stiftung hat Tsüri.ch auch in Member umgerechnet und kam somit letztlich auf rund 500 Klimamember.
  • Damit kann Tsüri.ch jetzt immerhin eine 50-Prozent-Stelle für eine Redakteurin finanzieren, die sich thematisch ausschließlich mit der Klimakrise auseinandersetzen wird.

Was wir gelernt haben

  • Eine Mitgliederkampagne ist Knochenarbeit: Insgesamt haben drei Teammitglieder von Tsüri.ch mehr als drei Monate an der Kampagne gearbeitet. Zwar waren die drei nicht rund um die Uhr nur mit der Kampagne beschäftigt, Seraina geht davon aus, dass die gemeinsame Arbeit in etwa eine Vollzeitstelle ausgemacht hat. Die meiste Zeit ging für das Verfassen und Verschicken der Kampagnen-Newsletter drauf.
  • Botschafterkampagnen lohnen sich mehr ab einer bestimmten Größe: Gerade weil es so viel Arbeit ist, sollte sich eine Botschafterkampagne auch lohnen. Je kleiner die Mitgliederzahl, desto kleiner wird auch der Impact der Kampagne sein. Ein Großteil der Arbeit bleibt aber die gleiche. Überraschenderweise hatten sich auch Nicht-Mitglieder als Botschafterinnen und Botschafter gemeldet, die sich dann als erstes als neue Mitglieder registrierten.
  • Ein thematischer Fokus ist hilfreich: Durch die Kopplung der Botschafterkampagne an die Finanzierung einer Klimastelle in der Redaktion konnte Tsüri.ch klar kommunizieren, wofür die neuen Mitglieder gebraucht werden. Dadurch fühlten sich auch bestimmte Communitys (zum Beispiel Fridays for Future oder Fahrradaktivisten aus Zürich) direkter angesprochen, konnten gut involviert werden und so zur Reichweite der Kampagne beitragen. Für Tsüri.ch ist jetzt im Nachhinein auch einfacher zu kommunizieren, welchen Impact die neuen Mitglieder mit ihrem Mitgliedsbeitrag haben.
  • Auch die Aufmerksamkeit ist Gold wert: Die Klimamember-Kampagne hat Tsüri.ch nicht nur neue Mitglieder, sondern auch Aufmerksamkeit beschert. Die große Spende einer Klimaschutzstiftung wäre ohne die Kampagne und die thematische Verknüpfung nicht zustande gekommen.

 

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