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Eine Redaktion ohne Chefredaktion? Das Magazin Neue Narrative beweist, dass es funktioniert. Die Redaktion arbeitet selbstorganisiert. Anstelle der Positionen, die wir alle aus klassischen Redaktionen kennen, gibt es bei Neue Narrative ein flexibles Rollensystem, bei dem alle Mitarbeitenden viele kleinere und größere Rollen innehaben und auf diese Weise in den Produktionsprozess des Magazins eingebunden sind.

Gerade für kleine Redaktionen kann es sinnvoll, sich davon etwas abzuschauen. Schließlich ist es in vielen Fällen ohnehin utopisch, alle klassischen Redaktions-Positionen zu besetzen.

Das ist Neue Narrative:

  • Neue Narrative ist 2018 aus dem Berliner Think Tank The Dive hervorgegangen.
  • Das Magazin erscheint dreimal jährlich und beschäftigt sich vor allem mit dem Thema New Work.
  • Neben dem Magazin gibt es noch andere Produkte, zum Beispiel eine Tool-Plattform, Audiotrainings oder ein New-Work-Glossar.
  • Neue Narrative ist eine GmbH im Verantwortungseigentum. Das heißt, die Mitarbeitenden haben das Sagen, das Unternehmen ist unverkäuflich und Gewinne werden nicht ausgeschüttet sondern reinvestiert oder gespendet. Hier steht, wie genau das funktioniert.

Darum geht es bei der flexiblen Rollenverteilung:

  • Wenn wir an die klassische Rollenverteilung in Redaktionen denken, denken wir sofort in Positionen: Chefredaktion, CvD, Redakteurinnen, Reporter und einige andere. So haben wir das gelernt.
  • Die Redaktion von Neue Narrative kommt ganz ohne Positionen aus. Stattdessen arbeitet sie selbstorganisiert, mit spezifischen und veränderlichen Rollen.

So funktioniert das System: 

  • Jedes Redaktionsmitglied bei Neue Narrative hat viele, zum Teil sehr kleinteilige Rollen inne. Die Anzahl kann variieren, In der Regel sind es zwischen 3 und 15 Stück.
  • Einige Beispiel für kleinere und größere Rollen: „Teaser und Überschriften”, „Recherche-Rakete”, „Fact-Check”, „Sparring bzw. Textstruktur”, „Product Owner”, „Process Owner” u.v.m.
  • Die Rollen werden geschaffen, wenn es einen Bedarf dafür gibt und auch wieder abgeschafft, wenn es den Bedarf nicht mehr gibt. Zwischendurch werden sie fortwährend angepasst. Sie sind deshalb möglichst präzise ausgestaltet.
  • In normalen Redaktionen wäre vielleicht eine Chefredakteurin oder irgendein Redakteur für Teaser und Überschriften verantwortlich. Bei Neue Narrative soll das die Person machen, die es am besten kann.
  • Jede Rolle ist genau definiert. Sie besteht aus einem Namen, einem „Purpose” (Sinn und Zweck) und ist mit drei bis fünf „Accountabilities” (Verantwortlichkeiten) ausgestattet.
  • Für die Rolle „Product Owner” sieht das beispielsweise so aus:
    • Purpose: „Wir haben die bisher beste Ausgabe von Neue Narrative entwickelt.”
    • Accountabilities: „Sorgt dafür, dass das Produkt mit dem Purpose in Einklang ist”, „Behält den Überblick über das große Ganze” und „Entwickelt ständig Ideen, um das Produkt noch besser zu machen und bringt sie als Vorschlag ein”.
  • Es ist also keinesfalls so, dass es bei Neue Narrative keine Hierarchien gibt. Allerdings werden Positionshierarchien durch Kompetenzhierarchien ersetzt: Die Person, die eine Rolle innehat, hat letztlich auch die Entscheidungsbefugnis. Schließlich braucht es die Aufgaben eines Chefredakteurs oder einer Chefredakteurin. Aber sie werden in Rollen aufgebrochen und sinnvoll im Team verteilt.
  • Damit das funktioniert, braucht es im Team ständige Reflexion und Feedback, damit alle Mitglieder ihre Stärken und Schwächen möglichst gut einschätzen können. Außerdem ist Flexiblität wichtig, denn Rollen werden nach Bedarf immer wieder neu vergeben, neu geschaffen oder in ihrem Purpose oder Accountabilities verändert.
  • Wer welche Rollen innehat und welche Kompetenzen damit verbunden sind, wird bei Neue Narrative transparent und nachvollziehbar für alle kommuniziert.

Was wir gelernt haben:

  • Rollen explizit machen hilft auch kleinen Redaktionen: Gerade in kleinen Redaktionen haben Mitarbeitende häufig ohnehin schon viele verschiedene Rollen inne. Sich dessen bewusst zu werden, die verschiedenen Rollenprofile im Team aufzuschreiben und transparent zu machen, kann schon enorm hilfreich sein. Denn dadurch wird es leichter, das eigene Arbeitspensum besser einzuschätzen, Schwächen in der Rollenverteilung zu entdecken oder seine Arbeitsabläufe zu optimieren.
  • Rollen helfen beim Recruitment: Wer weiß, welche Rollen in der Redaktion existieren, merkt auch, welche Rollen unzureichend besetzt sind oder für Unzufriedenheit sorgen. Wenn zum Beispiel die journalistische Qualität leidet, weil ihr (notgedrungen) gleichzeitig auch die Buchhaltung machen müsst, braucht ihr vielleicht keinen weiteren Reporter oder keine weitere Redakteurin. Stattdessen könntet ihr eine Person einstellen, die euch die sowieso unliebsame Rolle „Buchhaltung” abnimmt.
  • Zeit für Reflexion einplanen: Wichtig ist, sich ständig Zeit für Reflexion zu nehmen. Was läuft gut? Was läuft nicht gut? Welche Rollen müssen angepasst werden? Welche neuen Rollen braucht es bzw. sind schon von selbst entstanden? Nur so kann die Struktur ständig weiterentwickelt werden und flexibel bleiben.

Du hast eigene Erfahrungen oder Use cases, die wir aufnehmen sollen? Dann schreib einfach eine E-Mail an tobias.hauswurz@beabee.io.